Mittwoch, 30. Dezember 2020

Opus Eins von Simon Lokarno

Rosige Zukunftsaussicht?

Anfangs habe ich mich gefragt, wofür der Begriff "Opus" steht. "Opus" bedeutet lateinisch das "Werk" oder "Kunstwerk". Ich finde den Titel sehr passend vom Autor Simon Lokarno ausgewählt. Letztlich ist Opus Eins das künstlich geschaffene Regierungssystem, welches einem konkreten Sinn dient. Wir als Leser können nur Vermutungen darüber anstellen und dabei so richtig falsch liegen. Nicht nur die Menschheit wird getäuscht, sondern auch wir Leser. So bleibt es bis zur letzten Buchseite extrem spannend und brutal.

Plakativ zeichnet der Autor eine Welt, wo die Menschheit mit einer weiterentwickelten Form von Augmented Reality die Augen vor der wahren Welt verschließt. Die Vorgänger-Generationen hatten mit Klimakatastrophen, Ausbeutung von Naturschätzen und Kriegen den Grundstein gelegt, dass die Menschheit mehr und mehr Widrigkeiten und Krankheiten entwickelt. Jeder Mensch erleidet unter unangenehmen Tumoren und Parasiten, die durch Mutationen erfolgten. Wie schön, dass es in der Stadt dafür technische und chemische Mittel gibt, um die Welt rosig erscheinen zu lassen.

Es kommt, wie es kommen muss, dass ein Mensch jedoch unfreiwillig hinter die Kulissen schaut. Etwas geht in diesem System vor sich, das nicht rechtens ist. Es regt sich Widerstand.

6/7 des Buches dachte ich, alles läuft vorhersehbar ab, so in etwa Mission ist erfüllt und das Buch ist zu Ende. Doch der Autor schafft es, das Werk sauber abzuschließen und zugleich einen Anknüpfungspunkt für "Opus Zwei" zu schaffen. Jetzt bin ich wahnsinnig neugierig, wie es weitergeht.

Was mir nicht so gut gefallen hat:

Die Gewaltausdrücke der Romanfiguren kann ich ja noch verstehen. Wenn mir ich die Szenen, die der Autor beschreibt, gesehen hätte - unzensiert, ohne N20O und Lambdawarzen, dann hätte ich auch keine passenderen Worte bereit. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass der Roman mit etwas weniger Gewalt und Brutalität auskäme. Für mich lenkt das zu sehr von dem digitalen Anstrich der gezeichneten Welt ab und ich fühle meine Wohlfühloase in den Fundamenten erschüttert.

Der Roman kommt zwar als fiktiver SF Roman daher, aber knüpft nahtlos an dem an, was eigentlich heute schon existiert und was wir eigentlich kennen oder kennen sollten: Das Leben in parallelen Scheinwelten, Staaten, die in der Privatsphäre greifen, mangelnder Datenschutz, Masken, Mundtodmachung von Andersdeckenden, Gleichmacherei, Umwelt- und Diversitätszerstörung, ungezügelter Konsum.

"Der Mensch ist das Problem" ist ein Leitmotiv des Buches. Kann eine künstliche Intelligenz die Menschheit besser leiten als die Aristokraten es jemals tun könnten? Viele Menschen finden Gefallen an der schönen neuen Welt. Da gab es doch mal ein Roman "Brave new World", was hier quasi als Roman-Vorlage dienen könnte. Nur wenige Menschen aus dem Buch wissen die Realität zu schätzen. Nur der Widerstand meint, dass die Realität alles ist, was wir haben. Die Schönheit sei ein Abfallprodukt der Eitelkeit. Wie recht der Autor hat. Der Roman erdet mich in meiner Weltanschauung. Was ist wirklich wichtig und erstrebenswert? Ich glaube, es zu verstehen. Dennoch schreibe ich eine Rezension für Käufer, Leser, Verlage und Autoren, die ich nicht kenne, bewerte und werde bewertet. Im Buch wird angeführt, dass die Sprache, die Ursache allen Übels sei. Die Sprache sei Ursprung aller Missverständnisse. Der These folgend macht uns das mit Sprache vermittelnde Wissen schwer in die regulierenden Wirkkreise der Natur integrierbar. Wir setzen uns einfach darüber hinweg ohne Rücksicht. Absurd?

Ich muss darüber nachdenken. Ich lege eine Schreibpause ein und beende sicherheitshalber die Rezension und warte auf den zweiten Band, der noch nicht geschrieben ist.

Keine Kommentare: