Bei dem Buchtitel "2044 Auf Leben und Tod" wurde ich zunächst stutzig. Was sagt mir diese Zahl 2044? Klar, auf den ersten Blick ist es das Jahr in dem der Roman beginnt. Auf den zweiten Blick steht die Zahl semantisch für Willenskraft und Individualität. Mir scheint dies eine verdeckte Botschaft von Fred Schuhmacher, dem Autor, zu sein.
Meine erste Entdeckung im dem Buch ist die Halbinsel PARA. Dort zu wohnen scheint ein besonderes Privileg zu sein. Die Bewohner selbst entscheiden darüber und nicht selten heißt es: "Du kommst hier net rein, Du Wicht".
Die Überwachung zum Schutz von PARA ist sehr präzise und umfassend. Sie macht vor privaten Räumen nicht halt. Gerade Beziehungen zwischen PARAs und Nicht-PARAs, hier "Wichte" genannt, sind besonders suspekt und daher überwachungswert. Ein verliebtes Pärchen in dieser Konstellation stört das und sie versuchen, der permanenten Überwachung zu entfliehen. Auf geht's nach Berlin. Wird dies gelingen? Datenschutz war ja in Deutschland immer groß geschrieben, denke ich mir, aber Berlin war auch die Stadt mit den meisten Agenten und Geheimtunneln.
Oh, eine Nachricht vom Minihandy: Meine Bekannte fummelt gerade an jemanden herum. Es gibt sogar eine Sprachaufzeichnung. Ich blättere schnell zur nächsten Seite im Buch. Weitere beunruhigende Nachrichten lese ich. Dieses Antipodien rüstet mit nuklearen Waffen auf, eine klare Bedrohung für die PARA-Welt. In dem Buch ist aber auch alles drin: Krebs, Umwelt, Politik, Konzerne, Militär, Waffen, Technik, Menschen, Immunsystem und natürliches das Zusammenspiel bzw. Börsenspiel. Wie dem auch sei, der Autor lockert dieses durch die Wahl der Namen und Ausdrücke mit ein wenig Humor auf: "Ach du liebe Börse". Zudem klingt mir Antipodioten verdächtig nach Idioten. PARA suggeriert para-militärisch, und dann noch die Bezeichnung für alle, die nicht auf der PARA-Halbinsel leben: "Wichte". Namen wie Schwarzschild-Rockenfelder sind hingegen klangvolle Namen, die altehrwürdig und nach viel Kapital klingen. "Tropf" steht für Logistikzentrum. Ich mag grundsätzlich Humor, doch es hindert mich ein wenig als Leser, durch diese subtilen Assoziationen in der Fiktion voll und ganz in der Geschichte gedanklich einzutauchen. Für mich kommt das Werk eher wie eine theoretische Extrapolation aus der Gegenwart vor. Der Autor bestätigt dies im Nachwort, dass es sich um ein mögliches Szenario handele.
Aktualität gewinnt der Roman dadurch, dass die Menschheit weiter an der Intaktheit ihres Immunsystems einbüßt. Es werden monatliche Impfungen verordnet. Schwer bis unheilbare Krankheiten entstehen. Um Nadelstiche zu vermeiden, hat jeder Mensch ein Dock-Implantat im Körper für den Impfstoff. Die Pharmaindustrie macht gute Geschäfte mit schwachen Immunsystemen. Kommt Euch das bekannt vor? Manchmal schreibt das Leben die besten Geschichten.
Ich finde es interessant, wie der Autor mit jedem Kapitel einen weiteren Informationsbaustein zum besseren Verständnis des Szenarios liefert und sie mit den Wahrnehmungen der zwei Protagonisten verwebt. Für uns Leser wird dadurch die Situation erst richtig plakativ und innerlich betroffen. Zum Schluss des Buches werden wir hingegen mit Erklärungen, Absichten, Hintergründen und Motiven überschüttet. Das stellt sich mir etwas unausgewogen dar, die gesamte Aufklärung ins letzte Kapitel zu packen. Das habe ich bei Sherlock Holmes schon nicht gemocht, bei dem der Detektiv auf einmal Dinge aus dem Hut zaubert, die der Leser nicht wissen kann. In diesem Fall könnte ich mir hingegen vorstellen, dass es viele Leser auch nicht wissen wollen.
Das Buch ist quasi als Wirtschaftskrimi, Romanze und dystopische Zukunftsvision zu lesen. Für mich suggeriert die Geschichte, dass wir das Immunsystem besser verstehen und künstliche Abhängigkeiten von Außen vermeiden sollten. Der Mensch könnte sehr wohl ohne Minihandy, permanente Überwachung, regelmäßige Immunisierung durch Impfung, etc. natürlich und frei leben. Doch die gezielte Naturbeseitigung und Einschränkung der Freiheit sind der Schlüssel, um Konzern-Abhängigkeiten künstlich und vor allem global zu manifestieren.
Die unausgesprochene, jedoch implizite Kernbotschaft im Buch ist, die Handlungen von Politik zu hinterfragen und sich nicht zu einseitig zu informieren. Gesundheit lässt sich nicht spritzen. Für Gesundheit muss jeder selbst mit seinem Körper arbeiten. Wir brauchen Natur. Unternehmen geht es um ein solides Businessmodell. Unsere Gesundheit ist ein Markt! Oh, Börse, oh Börse, das Buch bringt es auf den Punkt.
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