Freitag, 9. April 2021

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen« von Martin Schörle

Es ist ein Buch, welches nicht einen Titel hat, sondern wie bei hochrangigen Beamten mehrere Titel aufweist. Das liegt daran, dass der Autor Martin Schörle mit einer Buchklappe gleich zwei Stücke erschlägt.

Für das erste Stück ist unsere volle Aufmerksamkeit gefordert. Zuwiderhandlungen werden sofort vom Vortragenden abgestraft. Es geht im ersten Theaterstück um nichts geringeres als "Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten". Am Anfang gibt es Hinweise zu den Personen, der eingespielten Musik und dem Bühnenbild. Man merkt Martin Schörle schreibt gerne Realsatire und hat selbst Bühnenerfahrung.

Hans Fredenbek, unser Sachbearbeiter im ersten Stück, ist ein dank Beamtenrecht regelbeförderter, wirrer, penibeler, unzutreffend schlussfolgernder, sicherheitsbewusster, aber in seinem Beruf aufgehender Mensch, wie Sie und ich. Wie, nicht Sie? Egal. Das Publikum wird durch direkte Ansprache mit eingebunden. Mit diesem Vorgang stellt Fredenbek den jeweiligen dienstlichen Bezug persönlich für alle her, die den Beamten kollektiv hassen. Ich bin mir zu 53,5% sicher, dass sich diese Sichtweise bei volljährigen Erwachsenen aus dem Zentralsauerland in Begleitung eines Liliputaners ändert nach der Rede von Fredenbek. Da der Autor auch diesem Berufsstand angehörte, muss auch er per Gesetz schlecht sein. Mitnichten, denn wir sind ja eine tolerante Gesellschaft durch die Ausführungen Fredenbek's. Schuld haben stets die Eltern, speziell die Mutter.

Fredenbek's Vorstellungskraft geht quasi bestimmungsgemäß mit ihm durch und er versucht plakativ dem Publikum seine mit einem bestimmten Radiergummi verbundene emotionale Beziehung klar zu machen und schwenkt von Radiergummi zum weiblichen Geschlecht über. Klar, alles was nach Gummi aussieht und sich rubbeln lässt, kann Freude bereiten. Ist bei Ihnen auch so, oder?

Bei allen seinen Ausführungen mag er es gar nicht, wenn er unterschätzt wird, daher setzt er noch einen drauf und rattert wie ein Maschinengewehr verschiedene Aktenzeichen der 6er Reihe herunter. Teuflisch und Sechsistisch und ohne die besonderen Schutzmaßnahmen! Es ist unwahrscheinlich, dass wir alles verstehen, aber hüten Sie sich, es abwegig zu finden, sonst gibt es noch eine Zugabe.

Mich erinnert der gute Mann an Hesse James, der seinen Duellpartner mit bloßen Worten tötet. Fredenbek macht dies, indem er uns ungefragt den Sachstand erläutert und zwar am laufenden Band und im Rahmen seiner Sprechzeit.

Zwei Stücke mit einer Klappe

Aber mit wohlwollender Auslegung hat alles hier seine Ordnung, also zu 99,9%. Die Worte erscheinen sachlich und in einem Auswahlverfahren selektiert. Fredenbek weiß, was wir Leser denken, aber Sie wissen nicht was ich über das Stück denke. Sie wissen nur was der Protagonist über Sie denkt, ohne an mich zu denken. Und er denkt, was Sie denken. Ich frage mich wozu es mich hier braucht. Die Rollen Penetrant und Pendant sind ja schon belegt. Es bleibt nur noch die des bürokratischen Prüfers bzw. Rezensents übrig, der nur schwer vollkommen zu befriedigen ist, kurz SVB. Nicht zu verwechseln mit VBB (vollkommene Beamtenbefriedigung ohne Vorspiel, aber mit Socken).

Euphoriemindernd war für mich der funktionale Nutzung von Fredenbek's Ausführungen für was auch immer. Das erste Stück hat doch eher ausschließlich unterhaltungswert. Sätze, die wir uns auf der Zunge zergehen lassen müssen, bevor wir darüber nachdenken. Sätze, die zwar chaotisch aneinandergereiht wurden, aber keine Anarchie zum Ausdruck bringen wollen. Dazu braucht es vorsätzliche Kreativität, die der Autor offenbar hat und schriftlich in zweifacher Ausführung mit seinem Buch einreicht, wie Pommes mit Kartoffelsalat.

Kommen wir als zum zweiten noch besseren Theaterstück. Es erfolgt im Telefongespräch eine Einladung von Marina zum Klassentreffen durch Carsten. So heißt auch das Theaterstück, also kurz "Einladung zum Klassentreffen". Sehr skurrile Klassenkameraden werden uns vor Augen in diesem Telefonat geführt. Eine Klasse für sich. Ein Grund, warum Sie solche Klassentreffen meiden sollte, wenn Sie selbst nicht gerade eine VIP sind und mit Bildern von Villa, Porsche und neuester Spielekonsole aufwarten können.

Diesmal tauchen wir unfreiwillig in das Leben Beamtin, einer Lehrerin namens Marina Winkler ein, die ihre alte Beziehung ausradiert hat. Doch zum Glück ruft alle 20 Jahre der vergessene Jugendliebhaber Carsten an. Eine weitere Parallele zum ersten Stück sind diese zwei telefonierenden Turteltäubchen, denn auch sie erinnern sich gerne daran, wie sie neben sich standen. Neben den beiden, Ihnen und mir ist im Nebenabteil eine Dame die zuhört und zwischendurch kommentiert. Später kommen auch noch ein ganzer Fanclub und eine angeschossene Klosett-Fliege hinzu. Der Autor verschickt bereits seit fünf Jahren diese Zusammenfassung des mehr oder weniger öffentlichen Gesprächs an interessierte Zuhörer, also auch Sie.

Parallel zu dem Gespräch erfolgen zeitliche Rücksprünge in Szenen mit Marina und ihrem Ex-Ehemann Holger Grahlmann mit Porsche und der Therapeutin (keine Ahnung, was die fährt) zur Eheberatung. Frauen können so etwas, sprechen und an etwas ganz anderes denken. Ich kann hingegen an gar nichts denken, was Frauen wiederum nicht können. Soll ich Ihnen erzählen, wie ich meine Frau kennengelernt habe? Ich schweife ab.

Also von mir gibt es einen positiven Bescheid für die starken Stücke. 5 goldene Sterne, die in dunklen Räumen weiss werden und denen ich ein 14 tätiges Widerspruchsrecht einräume.

Der Autor ruft viele Bilder in meinem Kopf auf. So kann ich mir die Szenen z.B. mit Strafversetzung auf eine klitzekleine Hallig und schutzlos der Natur mit seinen Ornithologen ausgeliefert zu sein, sehr gut vorstellen. Oder wie der Gesetzgeber Urlaub macht und daher nicht ans Telefon kann.

Die zweite Geschichte ist zu 78% imperfekt. Imperfekt ist eine Zeitform, die sowohl Vergangenheit als auch den unvollendeten Aspekt ausdrückt, wie die bedenkliche Stimmungslabilität verknüpft mit dem Angebot für ewige Liebe.

Insgesamt halte ich große Stücke auf die zwei verrückten Stücke.

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