Dienstag, 23. März 2021

Tul: Stadt der Gefallenen von Benjamin Keck

Richtig zu leben, ist oft nicht einfach

Zu Beginn des Buches "Tul" gibt es eine Karte von der berüchtigten Stadt Tul zur Orientierung. Die Stadt sieht schon recht voll aus aus der Vogelperspektive und spätestens nach der ersten Stadtbeschreibung von Tul des ersten Kapitels ist klar, dass Tul aus ziemlich üblen Vierteln, engen dunklen Gassen mit garantierten Überfällen, stinkendem Hafen, einem Marktplatz zur diebischen Erleichterung und viel zu viel fragwürdigen Behausungen mit verruchten Bewohnern besteht.

Jeder Lebenstag in Tul will verdient sein. Dazu geht man am besten den anderen aus dem Weg oder noch besser man bestielt sie. Reich und arm, gibt es auch in Tul. Evva und Toto beobachten eine Hinrichtung. Die beiden sogenannten "Hafenratten" handeln im Auftrag der fetten Ratte Bers, ihres Bandenführers. Sie sollen unerwünschte, fremde Diebe (sog. Spinnen) ausfindig zu machen. Doch dabei sehen sie erschrocken zu, wie Kelldred Alard dem Henker überstellt wird. Er ist eine Legende unter den Dieben. Eine Art Robin Hood, den man hängen lässt.

Zu dieser Zeit wissen sie noch nicht, dass es bereits vielversprechenden und vielfluchenden Nachwuchs gibt - sie selbst. Die Straße der Diebe verläuft über die Dächer von Tul, wenn man nicht gerade durch die maroden Dächer bricht und unvermittelt in einem fremden Schlafzimmer landet. Zudem gibt es eine düstere Unterwelt, die beispielsweise die Kinder der Sonne nutzen. Diese fallen in Tul unangenehm auf. Wenn Diebe eines hassen, dann ist es, wenn ihre Opfer fremd bestohlen werden.

Der geschichtliche Hintergrund warum Tul ein Ballungszentrum der Krimineller ist, beruht darauf, dass Tul als eine Gefängnisstadt konzipiert war. Die Inhaftierten bildeten die Stadtbevölkerung umringt von einer festen Mauer. Doch das alles wurde vergessen. Eines blieb jedoch, lebend verließ Tul keiner. Die sogenannte mordende Meute nimmt ihre Aufgabe - im Ursprung als Gefängniswärter gedacht - verdammt ernst und bewacht das einzige Stadttor.

Sehr skurrile Anführer haben sich herausgebildet, von verklärten Priestern, gutmütigen Ausbeutern, einem Zehen Sammelwütigen bis zum wohlbetuchten Nacktem, sind sämtliche Schattierungen dabei. Jeder hat seinen gefährlichen Ruf zu verlieren.

Und doch gibt es hier und da unter dem Deckmantel Hilfe und so etwas wie einen Gaunerkodex. Sich nicht immer daran zu halten, ist Ehrensache.

Ein Highlight sind die Eventveranstaltungen in Tul. Als Läufer, der mit Hunden auf Kriegsfuß steht, war das Kapitel "Hundelauf" gewohnte Praxis. Macht absolut Sinn die Köter auch bei Wettkämpfen einzusetzen. Da wären sicher wieder neue Weltrekorde fällig.

Mit dem Wissen um die vielen netten Flüchen im Buch muss ich nun an mich halten, dass ich nicht auch noch über dieses schreckliche Tul wettere. Besonders hervorzuheben ist, dass es dem Autor Benjamin Keck gelingt, eine durch und durch nicht liebenswerte Stadt mit seinen noch weniger liebreizenden Einwohnern, so humorvoll zu beschreiben, dass alles seinen Schrecken verliert. Faszinierend ist das Werk dadurch, dass der Humor die Abgründe der Menschheit weniger tief erscheinen lässt.

Ich kann sogar einige Lebensweisheiten für mein dreckiges Loch dem Buch entnehmen. So erzählt ein Narr unserem todgeweihten Kelldred Alard, er hätte auch ein schlechteres Leben führen können. Ja, in der Tat, wir Menschen neigen dazu auf hohem Niveau zu jammern. Und damit nicht genug der Weisheiten: Selbst wenn uns Türen verschlossen bleiben, kann jede geöffnet werden, wenn wir uns nur intensiv mit dem Hintergründen auseinandersetzen. Gleich getoppt von der Aussage, ein Meisterdieb ist der, der den Menschen dazu bringt, aus Dankbarkeit freiwillig zu geben. Auf diesem Prinzip sind die kleinsten Softwareschmieden richtig groß geworden. Größer als Kawa, wohlgemerkt!

Was man hier in Tul lernt, ist, sich nicht unterkriegen zu lassen, denn das würde man nur einmal im Leben tun.

Zum Ereuf, was für eine verflucht gute Geschichte. Ich frage mich, in wie weit wir bereits in Tuls Mauern leben. Merken wir es überhaupt? Kennen wir überhaupt alternative Lebensweisen und machen wir uns damit vertraut, oder akzeptieren wir unser Schicksal?

Das Buch ist wie das Bannschloss, es erzählt und erzählt. Manche hören zu und fühlen sich unterhalten, doch nur wenige vermögen eine Parallele zu unserer Erdentwicklung zu ziehen. Tul ist menschengemacht und kann nur durch Menschen verändert werden von innen nach außen, bzw. von ganz unten als Hafenratte nach ganz oben zur Elster durch verflucht viele Taten und unglaubliche Hartnäckigkeit. Wieviel Einsatz sind wir bereit zu geben? 3 Stunden? 16 Stunden? Ohne garantierte Aussicht auf Erfolg?

Wenn wir das Buch anpacken, bietet es stundenlang überraschende Momente, neue Flüche und neue Räume hinter unsichtbaren Türen. In unserem Umfeld gibt es mehr Schätze und Geheimnisse als wir vermuten. Das Wissen darum, wird Euch etwas kosten. Möglicherweise müsst ihr Euch verschulden, um davon zu profitieren, aber miteinander sprechen, zuhören, lesen bringt uns weiter auf dem Weg zur fetten Elster. Die magische Tür schnaubt "Du erzählst mehr als ich.". Ja, tut mir leid, aber bei Matuns kalten Zehen, das Buch ist fürwahr einzigartig und kommt bei mir auf mein persönliches 6 Sterne Regal. Ich hoffe, es bleibt da.

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