"The young man knows the rules, but the old man knows the exceptions."
Oliver Wendell Holmes
Mit 20 haben wir die besten Anlagen für den Sport, aber das ganze Leben noch vor uns. Warum sollten wir uns nur auf eine Sache konzentieren, wenn es noch soviel zu entdecken gibt?
Unsere Muskeln sind mit zwanzig stark, die Sauerstoffaufnahme (VO2 max) auf dem Hochpunkt - auch ohne spezielles Training. Es stellt sich die Frage, warum überhaupt hart trainieren, wenn es auch so geht.
Haben wir durch sportliche Erfolge erst einmal Blut geleckt, dann mag in dem einem oder anderen ein Ehrgeiz nach immer mehr entstehen. Wir kennen aber noch nicht das richtige Maß, gehen viel zu schnell an und gehen auch beizeiten über unsere Verhältnisse.
Als Jugendlicher können wir alles essen. Es schlägt auch nicht besonders an. Darum stopfen wir auch alles in uns herein, auch das was unsere Eltern nicht mehr schaffen und auf den Tellern lassen.
Mit 30 sind wir in der Regel mit unsere eigenen beruflichen Ausbildung und Karriere beschäftigt. Manche haben wir sogar schon eine eigene kleine Familie an der Backe. Laufen? Gar keine Zeit dafür. Unser Körper ist ein Ferrari wird aber nur im ersten Gang gefahren. Schade eigentlich, was könnte man mit solchen Anlagen eines 30jährigen alles erreichen. Es bildet sich ein erster Bauchansatz. Das Bier schmeckt uns besonders gut. Wir kaufen uns Alibi-Sportausrüstung für das Heim - einen Hometrainer, einen Gymnastikball, ein Theraband, eine Blackroll etc. die alle nach kurzer Nutzungszeit verstauben und aus dem Blickfeld verschwinden. Die Ernährung ist immer noch egal, unser Geschmack hat sich geändert, aber gegessen wird, was schmeckt.
Mit 40 finden wir wieder zum Laufen zurück. Die langen Strecken haben es uns angetan. Wir merken, dass wir uns auf 10 Kilometern Streckenlänge gegen 20 und 30 Jährigen hart tun, deswegen laufen wir lieber lang und noch länger. Bei größeren Distanzen verkalkulieren sich die Jüngeren oft und wir können unsere Erfahrung und bisher investierte Zeit auf der Langstrecke voll ausspielen.
Wir durchleben aber auch Höhen und Tiefen. Unser Körper zeigt sich nicht mehr unbesiegbar. Wir haben viele SCHs (Schmerzen, Schwächen, Schwindel, Schweinehund, Schinderei, Schuldsuche, Schuhschwäche). Wir kaufen uns Salben, Bandagen und Einlagen und kümmern uns auf einmal um die eigene Ernährung. Irgendwie muss der Bauch doch wehzubekommen sein.
Unser Herzschlag fällt im Schnitt, ebenso Testosteronspiegel und Knochendichte, aber zum Glück lesen wir sehr viel und probieren viel aus, um dem Älterwerden entgegenzuwirken.
Mit 50 kennen wir selbst die lateinischen Bezeichnungen jedes Muskels und jedes Bandes in unserem Körper, weil sich jedes schon einmal schmerzhaft vorgestellt hat. Kaum zu glauben, dass wir schon 50 Jahre auf dem Buckel haben. Kollegen schätzen uns allerdings viel jünger ein. Bei Laufveranstaltungen laufen wir kurz vor dem Mittelfeld ins Ziel. Die vorderen Ränge überlassen wir gönnerisch den Jüngeren. Trotzdem sind wir bei der Siegerehrung unter den ersten Drei, wenn es eine Alterklassenwertung gibt. Da kannste mal sehen, was im Alter noch geht. Wir klopfen uns auf die Schulter und schwelgen von diesen Erinnerungen während unseren Trainingswaldläufen.
Mit 60 sind wir froh, überhaupt laufen zu können. Wir sehen beim Waldlauf so aus, als wären wir gerade vom Pferd gestiegen. Wir schnaufen wie eine Dampflok und bewegen uns schwerfällig.
Wir sind kleiner geworden. Wir merken, dass alles früher besser ging. Aber wir laufen, während andere um uns herum bereits zig Operationen, Gehhilfen und Frührente beantragen. Wir spüren, die jahrelange Arbeit mit unserem Körper und die ausgewogene Ernährung haben sich ausgezahlt. Laufveranstalter kennen uns mit Namen und freuen sich, wenn wir über ihre Ziellinie schleichen.
Mit 70 kümmern wir uns gar nicht mehr um andere Läufer. Wir genießen einfach den Lauf. Vor lauter Falten im Gesicht merken Zuschauer gar nicht, dass es uns blendend geht. Wir gucken so, als wäre uns schlecht. Nein, uns geht gut. Die meisten schaffen es doch gar nicht erst in dieses Alter. Wer bisher gewohnt ist, alleine zu laufen, wird sich mit 70 nicht umstellen müssen. Einige Freunde und Kameraden haben sich bereits lange zuvor vom Laufsport zurückgezogen. Und auch wir sitzen viel mehr auf dem Rad und planschen im Wasser. Nur das Kastinienmännchen basteln will uns nicht gefallen. Wir schnitzen lieber große Pilze für den Garten, ohne Motorsäge, nur mit einer alten Säge und einer viel zu keinen Pfeile.
Mit 80 kann ich mir aus heutiger Sicht überhaupt nicht vorstellen noch zu laufen. Es gibt diese Ausnahmeerscheinungen weltweit, die es schaffen. Aber nicht immer können wir selbst beeinflussen, wie lange wir leben dürfen. Mit zunehmender Umweltverschmutzung und Arbeitszeitverlängerung wird das Leben nicht automatisch länger.
Auf Kaffeefahrten stimmen wir das Loblied auf unseren wunderbaren Laufsport an.
Wir haben unsere Erfahrungen und Erlebnisse für die Nachwelt bereits niedergeschrieben, um sie an die jüngere Generation weiterzugegeben, die sich nicht die Bohne dafür interessiert. Ungeachtet dessen ist es unser erbsteuerfreie Vermächtnis an alle Laufbegeisterten, die noch gar nicht das Alter und seine Herausforderung vor Augen haben. Aber kommt Ihr erst in das Alter!
"When you are on a voyage, and your ship is at anchorage, and you
disembark to get fresh water, you may pick up a small shellfish or a
truffle by the way, but you must keep your attention fixed on the ship,
and keep looking towards it constantly, to see if the Helmsman calls
you; and if he does, you have to leave everything, or be bundled on
board with your legs tied like a sheep. So it is in life. If you have a
dear wife or child given you, they are like the shellfish or the
truffle, they are very well in their way. Only, if the Helmsman call,
run back to your ship, leave all else, and do not look behind you. And
if you are old, never go far from the ship, so that when you are called
you may not fail to appear."
sacred-texts.com - The Discourses of Epictetus
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