Dienstag, 11. Juli 2017

Unkreatives Schreiben

"Das Internet zerstört die Literatur und es ist gut so."
Kenneth Goldsmith

Kennth Goldsmith vertritt interessante Thesen zum Schreiben. Er nennt seinen Denkansatz "Unkreative Writing".

Kann das "Schreiben" neuerfunden werden durch Word processing, Datenbanken, kopieren, programmieren und kombinieren?

Kann neue Literatur entstehen durch Neuanordnung von Texten, die schon existieren?

Wir haben in der Welt schon soviel Text und es entsteht ständig neuer Text. Wir haben auch bereits soviele Bücher, dass ein Menschenleben nicht ausreichen würde, sie alle zu lesen. Warum nicht vorhandene Texte nehmen und daraus etwas Neues kreieren.

Die einen nennen dies illegales abschreiben, die anderen sehen darin eine neue Disziplin zeitgemäßen Schreibens.

Die zugrundeliegende Idee ist nicht, ein Schriftstück aus einzelnen Textatomen aufzubauen, sondern gleich existierende Textmoleküle zu verwenden, die in Kombination eine neue Reaktion oder Bedeutung hervorrufen.

Ein Beispiel:
Ein Romanautor bringt ein Buch heraus und schreibt ein ganzes Jahr eine Szene nach der anderen bis sich eine Geschichte ergibt, die die Leser interessiert. Die Beschreibung der Charaktere, der Umgebung und der Athmosphäre kostet Zeit. Das Ergebnis, wenn wir ehrlich sind, gibt es bereits zigfach, wenn wir danach suchen.

Mit der Anzahl der Romane ist es geradezu unmöglich, wirklich eine neue Situation oder Handlung zu beschreiben, die noch in keinem anderen Roman in ähnlicher Weise auftrauchte.

Machen wir mal einen Google Test: Ich suche nach dem Satz "Das schummrige Laternenlicht erschwerte die Orientierung". Ich bekomme verschiedene Treffer angezeigt.
Nun kopiere ich einige Sätze aus den Treffern zusammen, verändere Kleinigkeiten und fertige meine Szene:

"Das gedimmte Laternenlicht erschwerte die Orientierung und perfektionierte die Illusion von einer Hafenanlage. Ein Lichtschein aus einem Fenster bot weitere Orientierung. Sie kannte das Fenster. Ihr wurde allmählich ganz schummrig vor den Augen, als sie das Fenster betrachtete.
Es war still. Die Krämpfe in Bauch und Rachen erschwerten es ihr, die richtige Balance zu finden. Die schummrige Dämmerung, das feine Flimmern des Regens schienen ewig zu dauern. Sie betrachtete mit unverhohlener Abneigung das Fenster."

Wie geht es weiter? Googlen wir doch nach "wie geht es weiter mit mir":


"Sie hatte sich für diesen Weg entschieden und sie war entschlossen, ihn weiterzugehen. Aber ihr war auch klar, dass sie etwas verändern musste."

Die Szene ist in einer Minute aus vorhandenen Text zusammengestellt, wie lange hätte ein kreativer Autor dafür benötigt?

Autoren sollten sich nicht in einer Wortwüste verlieren und jedes Sandkorn von Hand zu einem Gebilde arrangieren. Manchmal hilft uns die Technik beim Umdrehen der Wüste und es ensteht eine neue Landschaft aus den bekannten Sandkörnern.

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