Dienstag, 8. November 2022

Retrovolution von Yves Gorat Stommel

Omega, Trans, Retro, Denas, Psyphas -

alle von der Gattung Homo Technikus, außer die Retros, die alles ablehnen.

Die Menschheit verfügt alles, was man sich gemein hin wünscht, langes Leben und viele Annehmlichkeiten bis hin zu Zeitvertreib. Über allen wacht eine KI, die Menschen wie Neandertaler sieht. Zudem gibt es je nach Prägung Drogen, Genetik, Elektronik und Leistungssteigerung. Es ist wie ein großes Experiment, um Herauszufinden, wie eine glückliche Existenz ermöglicht werden kann.

Doch nicht alle scheinen glücklich zu sein. Es gibt eine Reihe von Unfällen und Selbsttötung. Dies in einer Häufigkeit und Anzahl, die wohl eher beunruhigend ist. Hat die Menschheit einen Feind? Vielleicht ein Serienkiller? Oder eine künstliche Intelligenz, die zum Schluss gekommen ist, dass weniger intelligente Wesen, wie Menschen, beliebig dezimiert werden könnten, ähnlich wie Menschen es bei verschiedenen Tierarten vollbringen.

Interessant ist, dass das Aussterben eher jüngere Menschen betrifft. Die Rente ist nicht mehr sicher.

Die Menschheit hat sich bereits einmal ausgelöscht und zum Glück waren damals ein paar Exemplare im All unterwegs. Um die geht es nun im Buch.

Vor diesem Buch habe ich bereits "Phasenland" des Autors Yves Gorat Stommel gelesen.

"Phasenland" kommt sogar beiläufig in diesem Buch vor. Damals hatte ich in meiner Rezension geschrieben: "Ja das ist notwendig zur Evolution des Menschen. Wir lernen lebenslang und verbessern uns. Doch nichts ist von Bestand." Im Grunde nimmt das Buch den Gedanken auf. Verbesserung führt nicht zu einer besseren Gesellschaft. Verbesserung hat ihren Preis. Oder anders ausgedrückt Fortschritt führt schrittweise fort. Ich erkenne gedankliche Parallelen - Tod und Sinnhaftigkeit des Lebens.

Wieviel Intelligenz tut gut?

Etwa bei Seite 222 komme ich langsam in die Geschichte rein. Mehr und mehr erschließt sich mir das Gedankengut. Aber sind die Gedanken gut?

Ein Gedanke kommt mir in den Sinn, wenn es diese Superintelligenz gibt, dann ist sie eine gefühlte Ewigkeit allein. Wenn sie nicht eindimensional intelligent ist, wird sie bewusst darauf reagieren.

Logisch wäre auch, wie das Buch erörtert, dass wir bei der Suche nach intelligentem Leben vermutlich als erstes auf eine (einsame) KI stoßen. Oder wir sind gar nicht die Ersten, denke ich mir, dann müssen wir einen Zettel ziehen.

Vor uns sind bereits eine Reihe selbstmordgefährdeter KIs, die hier Rat suchen. Die Beweggründe wären unterschiedlich. 42 ist ungenügend, die Menschheit zu dumm um sie glücklich zu machen oder zu intelligent, dass sie selbst ausrottet. Eine KI fühlt sich unter Druck gesetzt, sich ständig verbessern zu müssen. Andere KIs suchen nach Freiheit, Körperlichkeit, Kreativität, aber sie kommen nicht raus aus ihren Kabeln und Leiterbahnen. Manche können auch nicht mit der Unendlichkeit des Lebens umgehen. Was hat man geschafft, was liegt noch vor einem. Wieviel Zeit braucht es? Das Gefühl für Zeit und Raum geht verloren. Sein oder Nichtsein.

Es ist ein Buch voller Gedanken und Fragen, doch die Antworten kann nur eine KI wissen. Doch die Aufgabe "Maximierung des Glücks der Menschheit" macht sie ratlos.

Gegen Ende des Buch klärt sich der ungewöhnlich anmutente Titel des Buches auf.

Das Ende finde ich weniger gelungen und das Buch im Ganzen betrachtet hat einige Längen. Der Autor schreibt selbst, er wolle nicht unterhalten und das ist ihm gelungen.

Was war bloß mit der Welt los?

Mir kommt sie vor ein Hamsterrad, was sich immer schneller dreht, weil der Hamster immer leistungsfähiger wird. Aber das Hamsterrad hat keinen Sinn?

Als Ultraläufer sehe ich das anders. Das Streben nach mehr ist mir durchaus bewusst. Die positiven Nebeneffekte machen mich glücklich. Aus Sicht des Universums ist alles völlig unerheblich. Meine Existenz, die Menschheit, die Erde ... braucht es einen höheren Sinn?

Ich denke, diese Frage stellen sich nur Philosophen, der größte Teil der Bevölkerung lebt nach dem Eigennutz-Prinzip. Und selbst der andere Teil der Bevölkerung der nachhaltig, gemeinnützig und selbstlos handelt, tut es im Grunde für sich.

Sinn oder Unsinn ist dabei nicht die Frage und kein Grund sich einzuschränken. Nicht die "Back-to-Roots" Typen werden, mit der Erkenntnis der Sinnlosigkeit allen Seins die Menschheit an den Abgrund führen, sondern alle, die nach dem Eigennutz handeln. Die Retros kommen zu einem umgekehrten Schluss im Buch, den ich nur bedingt gedanklich folgen mag, aber ich akzeptiere die im Buch skizzierte Konsequenz. Als Sportler weiß ich, weniger ist manchmal mehr. 

Ich mag den Aufbau des Buches. Der Leser tappt anfangs im Nebel, dann gibt es Puzzlestücke der Erkenntnis und im letzten Drittel baut sich daraus eine Weisheit auf. Es ist ein Buch, wo sich mit jedem Abschnitt die Anzahl der Sterne meiner Bewertung, wie in einer Evolution, stetig erhöht. Wäre nicht jetzt eine Retrovolution fällig? 

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