Unser Geist muss sich in diesem hektischen Zeitalter immer schneller bewegen, und mit jedem Schritt laufen wir Gefahr, uns immer weiter von uns selbst zu entfernen. Der Autor Andreas Köhler schreibt in seinem Buch "Wieder auf der Walz: Die Tour de France", dass sein Alltag vollgestopft war mit allem was dazugehört. Gehörte wirklich alles dazu? Ich vermute, dass er kaum etwas für sich tat, sondern getrieben von den Strömungen dieser Welt war. Zum Glück hat er sich aus dem Strudel der schlechten Gefühle befreien können und hat angefangen, gegen den Strom zu schwimmen - naja zu wandern, ganz minimalistisch nach 23 Berufsjahren und ganz in traditioneller Gesellenkluft. Die Reise ist eine Lernreise, um sich selbst zu finden und neu durchzustarten.
Mit "Auf der Walz" verstehen wir die traditionelle Gesellenwanderung in einer zünftigen Tracht. Junge Handwerker, vor allem Zimmermänner und Dachdecker, machen das gerne bevor sie in den klassischen Berufsalltag einsteigen. Es dient dazu, möglichst weitläufig Erfahrung zu sammeln.
Zuweilen habe diese schwarz gekleideten Gestalten, die einer anderen Zeit entsprungen erschienen, auch in Franken entdeckt. Noch nie habe ich mich gefragt, was die so machen und was sie auf ihrer Wanderschaft erleben. Aber wo ich das Buch gesehen habe, war meine Neugier geweckt.
Wie sich herausstellte, ging es jedoch weniger in dem Buch um das Handwerk oder die damit verbundene Tradition, sondern um persönliche Reiseerlebnisse. Der Leser erfährt von der Hilfsbereitschaft der Gesellschaft und von denkwürdigen Begegnungen des Autors.
Angefangen hat alles mit einem spontanen Entschluss, es muss was ändern, er weiß nicht was, aber er werde es herausfinden. Er kann nicht so bleiben, wie er ist. Er muss einen Lebensabschnitt abschließen und weiter ziehen, wie damals als Geselle mit 23 Jahren.
Zunächst spürte er nur seine Füße. Es sind ungewohnte Distanzen, die er zurücklegte. Das Wetter spielte auch nicht immer mit. Eigentlich hatte er nicht viel, aber er brauchte auch wenig - außer am Ende des Tages eine Dusche. Soviel Luxus müsse sein. Wandern sollte stilvoll erfolgen.
Es ist ein kurzes Buch mit seinen 135 eBook Seiten. Im Buch findet sich eine Karte, die seinen Reiseverlauf zeigt und ausgesucht schöne Fotos mit ihm, quasi als Beweis "ich war da und jetzt bin ich wieder weg". Es ist schon erstaunlich, wie der Autor mit immer den gleichen Gesichtsausdruck da steht, egal wo er gerade ist. Auf einem Bild mit lauter Käse, Schinken, Wurst und Baguette lacht er mal. Na also, geht doch. Bei Essen hellt sich auch bei mir immer die Stimmung auf. Glücklicherweise bei anderen Dingen auch.
Die Reise hatte im Jahr 2019 stattgefunden. Die Reflexion, was ihm die Reise gebracht hat, fand sehr viel später statt. Es findet sich leider zu wenig Resümee in dem Buch
In dem Buch sind mehrere kurze Episoden von der Wanderung untergebracht, die das Leben ihm spielt. Somit basiert der Reisebericht auf einer wahren Begebenheit. Und das sind oft die, die das Reisen so interessant aufregend erscheinen lässt. Geschichten, die das Leben schreibt und in denen man selbst die Hauptrolle spielt mit Hut und Schlaghose.
Wir Leser sind die Voyeure und schauen auf das Leben eines Menschen. Auch wir sammeln dabei Eindrücke, möglicherweise um unser eigenes Leben zu überdenken oder wie wir uns in den Situationen verhalten würden.
Sind wir auf dem richtigen Weg? Haben wir alles schon gesehen oder gibt es noch mehr? Möglicherweise tut uns auch wenger gut.
Die Reise geht nach Toulouse - deswegen heißt das Buch auch "Tour de France" und startet in Deutschland. "Tour de France" hat mitnichten etwas zu tun mit nach unten treten und nach oben Buckeln. Eher mit Wandern und per Anhalter reisen.
Wer eine Reise tut, hat was zu erzählen. Natürlich sind nicht alle Erlebnisse interessant für uns. So ist das, wenn uns jemand voller Enthusiasmus seine Fotoalben zeigt und dann ohne Punkt und Komma berichtet. Und wir nur mit einem "Aha", "Oh schön" da stehen. Im Buch ist es manchmal genauso, einige Absätze lese ich aufmerksam und bei anderen schalte ich ab, da ich die Verbindung nicht habe.
Das ist auch der Grund, warum das Buch noch Potenzial für volle fünf Sterne hat. Mir fehlt noch, dass der Autor den Bezug zum Leser aufbaut, seine Erlebnisse mitteilt. Ich spüre nicht, dass der Leser Teil der Geschichte wird und viel profitieren kann. Es fängt mit dem Inhaltsverzeichnis an, wo jeweils nur Datumswerte drin stehen, anstelle eines Inhalts. Eine Karte ist zur Orientierung enthalten, wo Andreas Köhler langgelaufen/gefahren ist, aber der klare Bezug zu den Kapiteln fehlt. Es gibt kein Fazit zwischendurch zu jedem Kapitel für den Leser und auch nicht am Ende, was gelernt wurde. Klassisches Zitat: "Trank mein Wasser und notierte ein paar Gedanken". Was waren die Gedanken? Wenn es nicht wichtig ist, warum erwähnt er es dann? Es sind sehr viele Nebensächlichkeiten, die das Buch füllen, aber wenig Weisheit für den Leser entwickelt. Meine Empfehlung für die nächste Auflage ist, den Mut zu finden, etwas am Text zu kürzen und dafür ein wenig mehr Selbstreflexion oder Humor reinzupacken.
Rezensionen haben oft eine ähnliche Herausforderung. Ich schreibe über ein Buch von dem der Leser nichts weiß. Und obwohl ich viele Worte verwende, sind die Leser so schlau wie vorher. Manches Buch müssen wir eben selbst lesen und manche Reise auch. Und dann werden wir sagen, schön war's und Spaß hat's auch gemacht.
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